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24 Weihnachtsgeschichten, die das Leben schrieb

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24 Menschen, 24 Schicksale, 24 Weihnachtsgeschichten: Die hat jetzt die Webseite Schicksal.com im Rahmen eines Wettbewerbs online gestellt. Es handelt sich bei den Weihnachtsgeschichten nicht etwa um Märchen oder Fiktion - zu lesen sind wahre Geschichten, die das Leben schrieb. Und zwar zu Weihnachten. Mehr auf https://www.schicksal.com/Esoterik/Magazin/Weihnachten

ihm nicht weniger

ihm nicht weniger traumhaft erschien. Die Tür mag den Leser an einen Weihnachtskalender erinnern, aber so schilderte Vater es. Die kalte Dezemberluft schien sogar einen morgenländischen Duft ins Haus und an die kleine Nase des Jungen zu tragen. Aber Erinnerungen sind wandelbar. Dein persönliches Horoskop im Shop – sofort lieferbar! www.schicksal.com/ Horoskop-Shop Die Superman-Geschichte konnte Eduard dank der Bilderfolge erraten. Er erzählte oft, dass er als Sechsjähriger ein spezielles Comicheftchen immer wieder gelesen hatte. Ja, dass er sich manchmal an Schultagen krank gestellt hätte, um im Bett liegen bleiben zu können und mit einer Tasse heißer Milch mit Honig, die ihm seine Mutter brachte, in Supermans Farbenuniversum einzutauchen. Lediglich die Namen konnte er lesen und so war seine Fantasie umso freier, denn vom Englischen kannte er nur geläufige Ausdrücke und rudimentäre Satzfetzen wie Hello, okay oder Tschwing gum und Zigarett, please!. Ausdrücke also, die er vor dem amerikanischen Feldlager gebrauchte, dessen olivgrüne Zelte auf dem Flugplatz vor der Stadt aufgerichtet worden waren. Auch Hands up! hatte er gehört, wenn bestimmte Leute von Amerikanern und Gendarmen aus ihren Häusern geholt wurden. Diesen Comic nun, es war übrigens sein erster, hatte er zusammen mit einem Heft Amazing Stories von einem lächelnden G.I. zum Nikolaustag geschenkt bekommen, als er gerade Zigarettenstummel vom Bürgersteig auflas, um den unverbrannten Tabak herauszulösen und für seinen Großvater in einem kleinen Lederetui zu sammeln. All dies fiel mir wieder ein, als ich half, mein Elternhaus auszuräumen und unversehens auf die beiden Hefte stieß, die mit anderen Kindheitsschätzen meines Vaters (einige Glasmurmeln, drei Zinnsoldaten, ein Ki­ 14

Das Jahreshoroskop: Wie stehen die Sterne in den nächsten 12 Monaten? www.schicksal.com/Shop-Jahreshoroskop noticket für »Schneewittchen«) in einem hölzernen Zigarrenkasten lagen. Mit dem Comic ist eine Weihnachtsgeschichte verbunden, die zu unwahrscheinlich ist, um wahr zu sein. Dennoch bewirkte die Geschichte, dass Weihnachten seitdem für meinen Vater eine andere Bedeutung gewann. Wirklich religiös war meine Familie sowieso nie. Man hatte zwar mit den Nachbarn geplant in die Mette zu gehen und danach sollte es Erbsensuppe und eine halbe Mettwurst geben. Aber es gab keinen Christbaum im Haus, keinen Weihnachtsschmuck, außer einer uralten Krippe mit den drei orientalischen Königen, einem Jesulein und einer Maria. Alles aus geschnitztem, bemalten Holz. Die Krippe erinnerte Eduard an ein ausgebombtes Haus; der Großvater meinte, es sei eine römische Ruine. Worauf Eduard mal gefragt hatte, wer denn die Römer ausgebombt habe. Die Kerzen im Haus waren eine Notwendigkeit, kein Kitsch. Das Haus, das man noch vor dem Krieg gekauft hatte, musste abbezahlt werden und Eduard hatte gesehen, wie die Mutter resolut zwei Männer aus dem Haus geworfen hatte, Schuldeneintreiber. In langen Mänteln stapften sie durch den schmutzigen Schnee davon und meinten, sie kämen im neuen Jahr wieder. Und mein Vater schwor sich, er würde ihnen Schneekugeln mit einem Kern aus Patronenhülsen entgegenschleudern, falls sie dies täten. In seiner Rachephantasie entfalteten diese eine explosive Wirkung. Tatsächlich bereitete er diese Geschosse mit kindlichem Ernst vor und lagerte sie zu Pyramiden gestapelt im Hinterhof. Auf einem Foto, das ich fand, sieht man die Großmutter: eine entschlossene, junge Frau, die in Männerhosen und in einem Armeehemd, die Ärmel hochgekrempelt, vor einem Opel- LKW steht. Sie hatte einen Job als LKW-Fahrerin bei einem Gemüsehändler angenommen. Der Großvater, vormals Minenarbeiter in den Erzbergwerken, war ein tauber Pensionär; sonst konnte niemand Geld verdienen. Es wundert also kaum, dass Eduard bei Superman Zuflucht suchte. Am 24. wurde er früh wach und setzte sich, um seinen Großvater, mit dem er das Zimmer teilte, nicht aufzuwecken, mit seinem Comic und dem Schokoladenstückchen in die Holztreppe des Hauses. So konnte er besser fliegen. Die Mutter schlief noch, sie hatte bis abends Waren in der Stadt ausgefahren. Und plötzlich stand ein hagerer Schatten in der Haustür. Kalte Luft umwehte ihn. Zögerliches Stapfen. Als er seinen grauen Schal abwickelte, stellte Eduard erschrocken, dann ungläubig, dann begeistert fest, was passiert war. Er stürmte augenblicklich zur Mutter ins Zimmer: »Ein Schokoladenmann!!! Da ist ein Schokoladenmann!« Die Mutter schien ebenso erschrocken, sprang auf und die Treppen runter und stand. Stand atemlos. Reglos. Und biss dann wiederholt in den Schokoladenmann. Es war Eduards braungebrannter Vater, der nach fünf Jahren Kriegsgefangenschaft aus Ägypten zurückgekehrt war. An diesem Weihnachtstag sah er ihn das erste Mal. 15

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